Erlebnisse in China
29.09.2010, Shanghai
Endlich angekommen! Nach gefühlten 7 Menschenleben landete die russische Ex-Staatsairline, die vermutlich mit Wodka statt mit Kerosin fliegt, sicher in Pudong im östlichen Shanghai. Der Flug an sich war verhältnismäßig ruhig - Kremlgegner waren nicht an Bord (mich hatte man nicht enttarnt) und die Sprengstoffraketen blieben am Boden. ;-)
No 1 hatte mich mit vollster Sehnsucht und nach blühenden Veilchen duftend erwartet ... in der Realität heißt das: sie hielt höflich Distanz und schickte mich in ihrer Hotelunterkunft zuerst ins Badezimmer bevor ich mir mein erstes nichteuropäisiertes Chinaessen genehmigen durfte. Bei den Gerichten fragt man besser nicht, was da alles drin ist, sondern ißt einfach - ein geschickter Umgang mit den kuaizi natürlich vorausgesetzt.
Shanghai selbst ist eine Riesenmetropole. Nicht zu vergleichen mit irgendeiner europäischen Stadt und nicht typisch chinesisch. Unzählige Wolkenkratzer lassen uns selbst so klein erscheinen, ein dichtes Metronetz mit immervollen Bahnen egal zu welchem Wochentag und Uhrzeit. Witzig anzusehen ist die chinesische Eigenart, bei einem freien Sitzplatz mit Ganzkörpereinsatz sofort loszustürmen, als ginge es um das nächste Olympische Gold.
Kleine Gassen und Ecken findet man in dieser Stadt nur noch selten - dafür ist das Überqueren der zahlreichen Verkehrsstraßen jedesmal ein wahres Abenteuer: es gilt hier das Recht des Stärkeren, was mich als Fußgänger an das letzte Glied der Kette stellt.
Sehr imposant fand ich die Massen an E-Bikes und Elektro-Roller, die in China durch die Straßen flitzen, während man in Dtl. das Gefühl hat, es gibt ein Wettrüsten um den lautesten Knatterroller (wie rückständig). Davon hätte ich mir gerne für schlappe 100 Euro einen mitgenommen.
30.09./01.10.2010, Zhujiajiao
No 1 hatte zwei arbeitsfreie Tage, die wir sofort nutzten, um mit einer einstündigen Busfahrt in eine nahegelegene Stadt Zhujiajiao, einem kleinen Venedig sozusagen, zu fahren. Wir genossen die ruhigen Gassen der Stadt, Tee und chinesisches Bier am Ufer zusammen mit No 1's Bekannten. Eine ziemlich romantischer Platz am Ufer ... jedenfalls für Verliebte ... wir jedoch zogen besser gleich weiter in die Gassen, wo wir später ein typisches Straßenessen zu uns nahmen: gegrillte Spieße; mit allerhand verschiedenem Zeug dran. No 1 und ihr Bekannter hörten auf zu Essen als sie satt waren, ich hörte auf, weil für meinen deutschen Gaumen die Schärfe irgendwann unerträglich wurde ...
02. - 06.10.2010, Shanghai
Zurück im Städtchen stürzte sich No 1 wieder ins Arbeitsleben im deutschen Pavillion, während ich im Central Park entspannte. Abends spielte Sascha im Mao Live House fast für uns alleine. Aber die wichtigste Regel im Showgeschäft ist, so sagte er, immer alles zu geben. Auch dann, wenn nur 2 Reihen Publikum vor einem stehen. Wir hatten jedenfalls unseren Spaß, was nicht nur an den unzähligen gutschmeckenden pijiu an dem Abend lag.
Die folgenden Tage drängelte ich mich mit auf das EXPO Gelände, schmuggelte mich durch den easy Access in die Pavillions hinein und war erstaunt, wie unterschiedlich groß der Aufwand der einzelnen Pavillions war, für den Besucher unter dem Motto 'Better City - Better Life' eine möglichst interessante Ausstellung zu bieten. Manche waren nicht wirklich prickelnd und in weniger als 5 Minuten abgegrast, wie San Marino oder Nordkorea. Am beeindruckendsten fand ich die Darstellungen in dem spanischen, australischen, deutschen und dem Themen - Pavillion und natürlich die musikalische Unterhaltung auf den Bühnen von Brockdorff Klang Labor und Puppet Mastaz.
07. - 10.10.2010, Beijing
Mit dem Nachtzug in der Luxusklasse ging es nun nach Beijing. Wir genehmigten uns ein paar Bierchen an der Bar im Zug und schliefen danach gemütlich bis zur Ankunft im Liegeabteil. Sogar No 2 hat erstaunlicherweise ausgestreckt ins Bett gepaßt.
Eine weitere Großstadt und doch ganz anders. Viele Hutongs, kleine Gassen, ruhige Ecken - man merkte gar nicht, in einer großen Stadt zu sein.
Am ersten Abend feierten wir in der deutschen Botschaft die 20-jährige Einheitsparty. Getränke und Essen für umme und musikalische Unterhaltung einiger Bands und Artisten sorgten für unser Wohl und Spaß.
Gefeiert haben wir die Tage darauf noch mehr, schließlich durchbrach No 1 im dezimalen Zahlensystem zum dritten mal das Ende der Einerstelle. Erst 'feierten' wir zufällig in einer Australian Bar hinein, wo wir viel Spaß bei vielen VB's mit drei lustigen Aussies hatten. Den Tag darauf verbrachten wir zusammen mit Wesley, seiner Frau und Kind im Summer Palace - leider ohne Weitsicht, aber nichts unnormales in Beijing - speisten lecker a lá China im Restaurant, worauf noch weitere Freunde und Bekannte von No 1 dazustießen, bevor wir es uns gemeinsam in Yangs Bar für den Rest des Abends gemütlich machten.
11./12.10.2010, Shuichangcheng
'Was seid ihr so spät noch unterwegs?', fragte man uns nach der Ankunft in dem Ort Shuichangcheng, welcher direkt an der chinesischen Mauer gelegen und nicht so touristisch ist, gegen 19 Uhr, als wir in stockdunkler Gegend die letzten Busfahrgäste waren. Zum Glück lotste uns jemand zu seiner Unterkunft und schaltete extra für uns noch einmal das Licht im Dorf an und brachte uns beiden sogar noch Mampf. Ohne No 1 und ihrer chinesischen Sprachbegabung wäre ich lost und aufgeschmissen gewesen, aber so war es relativ easy.
Am Tag darauf sahen wir sie endlich: Die Mauer! Ein tausende Kilometer langes imposantes menschliches Konstrukt, das nur dazu da war zu verhindern, daß Menschen von der einen Seite auf die andere gelangten. Aber im Gegensatz zu Berlin kann man darauf heute wunderbar spazieren gehen oder Schoki + Rülpscolapause machen und die Aussicht geniessen, wenn man, wie wir es taten, verbotene Wege benutzt. Die Gesetzestreuen hingegen sahen die Mauer nur aus sicherer Entfernung vom nahegelegenen See aus. ;-)
Den Abend verbrachten wir dann in No 1 ehemaliger Studistadt Tianjin, in die wir in 30 Minuten per Expresszug rasten. Mit 95 m/s fast schon Transrapidfeeling und der ICE verkommt zur Bimmelbahn ... Unsere Nerven wurden dennoch strapaziert, als uns die Taxifahrerin eine Stunde durch alle Straßen der Stadt fuhr, außer in die, in die wir wollten.
15./16.10.2010, Suzhou
'Lost in Translation' ... so wie in diesem Film fühlte ich mich oft in diesen Tagen, besonders auf meinem 2-Tages-Single Trip nach Suzhou, etwa 90 Zugminuten westlich von Shanghai gelegen. Für das Ticket stellte ich mich an einem der 29 Schalter an und hatte mehr Glück als die Menschen in der Schlange neben mir, deren Bedienung plötzlich mal eben zur Mittagspause verschwand. Eine Halle mit unzähligen Ticketautomaten gab's zwar auch und die Schlangen waren dort nur halb so lang, aber Chinesen ... die fangen erstmal an zu telefonieren und überlegen, wo sie eigentlich hinwollen, wenn sie direkt vor dem Bildschirm stehen ... und ein telefonierender Chinese kann ein ganzes Flughafenterminal beschallen ...
In Suzhou, auch als Venedig des Ostens bezeichnet, verweilte ich am Flußufer, schaute mir den Changlang Pavilion und The Master - of - Nets Garden an, beides typisch angelegte chinesische Gärten, und ließ die nette Atmosphäre auf mich wirken. Der Tag verging ziemlich schnell, ich spürte kaum, wie meine Beine immer schwerer wurden. Wegen ausverkaufter Rückfahrtickets nicht freiwillig, aber auch nicht unwillig nächtigte ich in einem gemütlichen Hostel dieser Stadt. Sich das Zimmer (glücklicherweise nicht das Bett!) mit 5 anderen zu teilen gibt mir dann wirklich das Gefühl, Urlaub zu haben, unterwegs zu sein ... auch wenn immer ein Schnarchi mit im Zimmer ist. Aber so ergeben sich leicht nette Gespräche mit anderen Menschen, die ebenso das einfache Reisen lieben und viele spannende Geschichten zu erzählen haben.
17./18.10.2010, Moganshan
Yippie! Tausend Dank an die Chefs aller Pavillions im hiesigen Universum! No 1 hat nochmal 2 Tage frei bekommen ... und daß ohne die EXPO vorübergehend schließen zu müssen. Das nutzten wir natürlich sofort für einen Ausflug ins grüne Paradies Moganshan.
Dafür mußten wir zuallererst den gebuchten Zug am Morgen bekommen. No 1 war sich zu 100 % sicher, daß es dafür genügt, eine Stunde vorher aus dem Haus zu gehen. An der Metrostation angekommen, sahen wir erstmal nur die Rücklichter. Also nochmal 5 Minuten warten. Beim Umsteigen in eine andere Metro passierte dasselbe noch einmal. Dann verblieben nur noch 25 Minuten für 8 Stationen mit der Metro, sich mit all den Massen aus dem U-Bahnschacht und hoffentlich dem richtigen Ausgang zu quälen, zum Bahnhofsgebäude zu rennen, durch den Sicherheitscheck (ja, den gibt es auch dort), das richtige Gate finden und hoffen, daß es noch nicht wieder geschlossen hatte, denn sonst kam man nicht mehr auf den Bahnsteig. No 1 war sich immer noch 100 %ig sicher ... jetzt allerding, daß wir es nicht mehr schaffen würden. Doch die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt und so stellten wir uns in der Metro in eine gute Ausgangsposition, um die freie Bahn in den ersten 2 Sekunden nach dem Öffnen der Türen nutzen zu können. So saßen wir letztendlich doch noch im Zug nach Hangzhou, zwar fertig und ganz außer Atem - aber glücklich.
Nach weiteren Busfahrten erreichten wir endlich den Ort Moganshan im Nationalpark und relaxten kurz auf dem Balkon im Hotelzimmer. Später trafen wir Bello den Dorfhund, der uns zeigte, wo es auf der kleinen Wanderung durch den grünen Wald langging. Leider war er ein wenig zu schnell für uns, besonders bergan, und so verloren wir uns irgendwann im Wald. Nur ein bißchen mehr Weitblick statt des leichten Nebels hätten wir uns noch gewünscht. Plötzlich entdeckten wir etwa 100 m abseits des Weges ein verlassenes Teehaus am Berghang. Das mußten wir uns genauer ansehen und spazierten herum und hinein. Sah aus, als ob es vor wenigen Jahren plötzlich verlassen wurde ... warum auch immer. Wir fingen an zu träumen, was sich hier alles draus machen ließe, wem das Haus wohl gehören mag. Im Haus selbst war es schon unheimlich, ich fühlte mich wie in einem der Grimms Märchen und wartete schon darauf, daß gleich eine Hexe auftauchen oder ein verzauberter Spiegel mit uns sprechen würde ...
Am Tag darauf trafen wir Bello wieder, aber auch diesmal hängte er uns auf dem Pfad um den Berg ab. Bello ist einfach kein Hund mit Verständnis für ein Päuschen zwischendurch. Wir haben die Zeit zu zweit im Paradies gut ausgekostet, fuhren entspannt zurück in die Hektikstadt Shanghai, wobei wir in Hangzhou fast wieder den Zug verpaßt hätten. Entweder war das Taxi schon besetzt oder es wollte uns nicht zur Bahnstation fahren und lieber Feierabend machen ... Chinesen eben...
18./19.10.2010, Shanghai
Zurück im Hotel machte ich mich bereits an das Packen. Übergewichtig und randvoll mit maßgeschneiderten Klamotten war mein Rucksack, mit denen ich mich hier üppig eindeckte.
Am Abend hatten wir noch viel Spaß beim Elektromusik-Konzert im Mao-Live-House, welches fast nur von deutschen Pavillionmitarbeitern besucht wurde, wie mir schien. Die Musik an sich war wohl nicht gedacht über die Ohren, sondern über die Vibrationen der eigenen Innereien 'gehört' zu werden.
Der Tag mußte kommen und er kam auch ... wie immer zu schnell ging die gemeinsame Zeit vorbei. No 1 brachte mich noch zum richtigen Bus (damit ich auch tatsächlich verschwand ;-) und sie sich ungestört den letzten verbleibenden EXPO-Wochen widmen kann) und dann begann mein 30 stündiger Transfer bis zur eigenen Haustür. Ich konnte sogar einschlafen im Flugzeug, allerdings nur kurz ... bis mich die hübsche Stewardess am Arm rüttelte und ich nur schlaftrunken hörte: 'Fish or Chicken?' ... alles ist wie immer, sogar über den Wolken - 'Chicken' - was sonst ...
Drei Wochen China - mit Sicherheit niemals genug für das ganze Land - und mit Sicherheit kann man in drei Wochen dort mehr sehen als ich es tat. Aber das war in der Zeit nicht das Bedeutendste ... viele spannende Momente und wunderbare Erlebnisse lassen mich gerne an die Zeit zurückdenken.